01.06.1999, 12.20 Uhr:
"Befinde mich 5 km vor Oppeln, befinde mich an der E 40!". Mit Freude
lese ich diese erste SMS-Nachricht von Thomas der sich bereits in Polen
befindet. Mit dieser Nachricht, so stellte sich später heraus, wurde für
mich der Anfang einer neuen Angelära eingeläutet. Thomas kannte ich bisher
nur ein paar kurze Augenblicke, ein paar Stunden des gemeinsamen Angelns
im letzen Jahr, doch die Sympathie war groß. Er ist ein junger aufgeweckter,
sympathischer Kerl, für den das Karpfenangeln nicht einfach nur ein normales
Angeln ist. Es ist für meinen Geschmack mit einer langen Vorbereitungsprozedur
verbunden die ich zuvor nicht kannte. Es wird anscheinend nichts dem Zufall
überlassen, jede Bewegung und Handlung scheint bis ins kleinste Detail
durchdacht zu sein.
13.30 Uhr:
Ich wartete also schon bereits mit meinem Kollegen Marius auf der E 40.
"Da ist er!", ein roter Opel Kadett, vollgepackt mit Angelsachen bis unters
Dach, das muß Thomas sein.

Ein kurzer Wortwechsel, ein paar
Fotos für`s Album und ab zum Mittagessen. Zum Ausruhen war leider keine
Zeit wie er sagte, das können wir auch noch die ganzen 14 Tage lang am
Wasser tun. Nach noch ein paar kurzen Worten beim Einpacken meiner Klamotten
konnte es auch schon endlich losgehen. Ab an den Angelplatz nach Turawa.
Turawa ist ein Stausee der von zwei kleinen Flüssen Mata Ponew und Libawka
gespeist wird und als Wasserausgleichsbecken für die Oder gebaut wurde
(siehe Bericht vom 01/99).
Mit einer Wasserfläche von ca. 2200 ha ist es mit einer Durchschnittstiefe
von 4 Metern kein tiefes Gewässer.
17.00 Uhr:
Wir sind bereits am Wasser angekommen und haben das Tackle auch schon
zum größten Teil aufgebaut. Nun konnte die Schlacht mit unseren kleinen
Lieblingen beginnen. Noch eine kurze Lagebesprechung am Ufer und ab auf´s
Wasser zum Ruten rausbringen. Die erste Nacht wurde aufgrund leichter
Übermüdungserscheinungen ganz dem Zufall überlassen. Die Taktik gliederte
sich in leichtes, punktgenaues Anfüttern und normalem Aussitzen. Doch
der nächste Tag stellte sich als sehr arbeitsintensiv heraus. Wir fuhren
mit dem Echolot auf den See heraus und erkundeten den Gewässergrund an
unserer Stelle bis ins kleinste Detail. Ich erkannte also, daß man durch
vorheriges gemeinsames Besprechen und anschließendes Handeln den Zufallsfaktor
so weit wie möglich zu eliminieren hatte. Dinge die für mich zuvor unwichtig
waren, schienen in Wahrheit doch von Bedeutung zu sein. Ich entdeckte
für mich völlig neue Perspektiven und Denkweisen, die mich total beeindruckt
haben.
02.06.1999:
Der Angelplatz ist gegen Abend vorbereitet und steht zum Füttern bereit.
Als Köder entschieden wir uns für Mais und Boilies. Den Mais besorgte
ich und die Boilies eben Thomas, da es bei uns keine Möglichkeit gibt
gute Boilies zu bekommen. Nach getaner Arbeit heißt es wieder einmal warten.
In der langen Zeit des Wartens hatten wir uns viel zu erzählen, denn alles
was Thomas mir zeigte oder sagte war für mich Neuland und interessierte
mich brennend. Es war für mich eben, wie für die meisten von Euch schon
durchexerziert, der Beginn einer neuen Angelart. Die Atmosphäre am Wasser
entwickelte sich langsam und war irgendwie besonders. Wir unterhielten
uns nicht nur über das Angeln und andere ernsthafte Dinge, sondern auch
über lustige Sachen, die gar nichts mit dem Angeln zu tun hatten. Wir
verstanden uns prächtig und haben viel gelacht. Das Lachen begleitete
uns den ganzen Urlaub über.
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03.06.1999:
Die zweite Nacht verlief ebenfalls ruhig, doch am Donnerstag Morgen um
5.30 Uhr wurde der Bann der Stille dann endlich gebrochen und ich bekomme
den ersten Biß. Ich setze den Anschlag, mache zwei Drehungen mit der Kurbel
und der Fisch ist weg. Noch mit der Angel in der Hand schaue ich ganz
verwundert Thomas an. Er lächelt nur und sieht das alles gelassen. Wir
suchen zusammen nach der Ursache dieses Vorfalls, doch es stellte sich
schnell heraus, daß es wohl mein Fehler beim montieren der Montage war.
Ich habe halt noch zu wenig Erfahrung. Kaum ausgesprochen, habe ich auch
schon den nächsten Abläufer. Meine nächste Chance einen unserer Lieblinge
an Land zu ziehen. Nach dem Anschlag renne ich ganz schnell die Treppe
welche sich hinter unseren Camp´s befindet hoch und es folgt ein harter
Drill. Zu der eben erwähnten Treppe sei zu ergänzen, daß man aufgrund
der zahlreich auf dem Gewässergrund vorhandenen Wurzeln den Fisch so schnell
wie möglich vom Boden hochbekommen muß. Es fehlen mir nur noch 10 Meter
zu meinem Glück. Ich kann den Fisch schon sehen und ziehe meine Hose aus
um ihm im flachen Wasser entgegen zu gehen. Ich bin mir ziemlich sicher
daß ich diesen Fisch diesmal ohne große Probleme kriege und keschern kann.
Thomas beschäftigt sich zwischenzeitlich damit dieses Spektakel für die
Nachwelt bildlich festzuhalten.

Da so ein Ereignis hier in Polen
absolut nicht üblich ist hat sich um uns herum eine Schar von Leuten angesammelt
die neugierig beobachteten was wir hier so machten. Der Karpfen ist nun
an der Wasseroberfläche und ich muß ihn nur noch über den Kescher ziehen
um ihn in meiner ab heute geführten Fangliste verzeichnen zu können. Dem
Fisch scheint dieses aber nicht zu gefallen, denn er macht eine erneute
Flucht und diese rettet ihn vor der bevorstehenden Fotosasion. Ich habe
den Fisch schon sehen können und schätze ihn auf 20 Pfund, doch er war
mir wohl nicht gegönnt. Mit noch zitternden Händen suchte ich nach der
Ursache dieses Desasters. Wieder einmal war mein Vorfach am Knoten gerissen
und das Vorfachmaterial erwies sich als absolut unbrauchbar.
Um ca. 14.00 Uhr bekam Thomas
seine erste Chance und setzte diese ebenfalls in den Sand. Er schüttelte
nur mit dem Kopf und konnte diese Ausbeutung einfach nicht fassen. Es
mußte etwas passieren damit wir die Fische auch herausbekamen. Er montierte
eine dicke schwarze Schnur an seine Ruten und erklärte mir die Funktion
des Shok-Leaders in Verbindung mit den Wurzeln.
17.30 Uhr:
Ein erneuter Run. Die Rute die ich mit Boilies beködert habe meldet sich.
Thomas ruft mir zu "Dej mu, Dej mu!", was soviel heißt wie: "Nun gib ihm
aber einen!". Die Worte höre ich noch heute in meinem Kopf. Anschlag,
in Windeseile stürme ich auf die Treppe und ich hab ihn. Meine Angel verbiegt
sich. Thomas steht neben mir, "Aber verliere ihn bloß nicht, sonst werde
ich sauer auf dich!". Ich nehme seine Worte nicht ernst, denn ich weiß
daß er nur Spaß macht. Der Drill verläuft relativ einfach und unproblematisch
und nach ein paar Minuten landet der lang ersehnte Karpfen im Netz. Puh,
da ist mir aber ein Stein vom Herzen gefallen als ich den 70 cm langen
und 13,300 Pfund schweren Spiegler vor mir sah. Die von mir schon sehnsüchtigst
erwartete Zeremonie des Messens, Wiegens und Fotografierens konnte ich
nun endlich vollziehen. Und der für mich bis heute noch wichtigste Punkt,
das Zurücksetzen! Vorsichtig nehme ich meinen kleinen Liebling von der
Matte und lasse ihn elegant in das nasse Element zurück. "Lebe wohl und
schicke mir bitte deine Mami vorbei!", mit diesem Satz verabschiedete
ich den Fisch und er verschwand mit einem letzten sichtbaren wedeln der
Schwanzflosse in den Tiefen des großen Sees. Dieser Moment war einfach
unbeschreiblich für mich, ich schenkte dem Karpfen seine Freiheit und
auch sein Leben und fühlte mich einfach gut dabei. Diesen Moment muß man
erlebt haben! Die Angler von neben an schauen uns verzweifelt zu, schütteln
mit dem Kopf und geben uns deutlich zu verstehen was Sie über uns denken.
In Polen werden nun mal keine Karpfen zurück ins Wasser gelassen. Das
macht nur die Elite - die Besten der Besten - und ich möchte dazu gehören.
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04.06.1999:
Der nächste Tag bricht an. Die Karpfen beißen wie die Plötze beim Stippen.
Es folgt ein Dutzend mal die selbe Handlung, für mich eine Art Zeremonie.
Messen, Wiegen und dann ins Wasser lassen - Leben schenken! - das ist
die Zeremonie. Um so länger ich mit Thomas angele, erkenne ich seinen
wahren Charakter, er entpuppt sich als ein Mensch der wenig ißt und viel
schläft! Die nächsten 14 und 16 Pfund schweren Karpfen landeten im Käscher.
Um uns herum viele einheimische Zuschauer, einige klatschten vor Freude
und Bewunderung als wir die Fische auf der Matte hatten und sie anschließend
wieder schwimmen ließen. Die anderen hingegen, meistens selbst Angler,
schütteln nur vor Verwunderung mit den Köpfen. Schnell hat sich unser
untypisches Angeln auf dem benachbarten Campingplatz herumgesprochen und
die Leute kannten uns alle vom hörensagen her. Die direkt neben uns angelnden
Angler versuchten an unsern Platz heranzukommen. Was ihnen auch bei 10
Meter gesetzlichen Abstand zum benachbarten Angler ohne Probleme gelang.
Thomas bezeichnet diese Leute als "Zlodzieje", was übersetzt soviel heißt
wie "Fischdiebe" .Unser Marathonangeln ging weiter, wir hatten 20 Bisse
in den nächsten 24 Stunden. Die Ruten hatten wir fast ständig in der Hand,
und so langsam artete das ganze Unternehmen in harte Arbeit aus und wir
bekamen wenig Schlaf.

Endlich konnten wir den ersten 20iger
im Käscher landen und es folgte wieder einmal die eben schon beschriebene
Zeremonie die mir unheimlich viel Spaß bereitete wie sich herausstellte.
Wir träumten nach so vielen gefangenen Fischen von einem Fang der unsere
Ruten bis zur Grenze der Belastbarkeit bringen sollte. Die nächsten Tage
war wieder harte Arbeit angesagt. Obwohl das Wetter bei 30 °C im Schatten
mehr für´s Sonnenbaden sprach, paddelten wir unsere Eimer mit Partikeln
und Boilies zu unserer Futterstelle die in ca. 150 Metern Entfernung lag
heraus.
07.06.1999, 14.00 Uhr:
Auf der Matte liegt einer unserer schönen Lieblinge, ein 83 cm langer
Spiegler mit 27,200 Pfund. Ich sehe die Freude in Thomas seinen Augen,
und nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Lande wird der Fisch wieder einmal
zum Erstaunen der Götter seinem Element übergeben. Abends lassen wir noch
einmal die Erlebnisse der schönen Tage Revue passieren und besprechen
die Dinge des nächsten Tages. Die Tage vergehen und das Ende unserer gemeinsamen
Abenteuertour kommt mit großen Schritten immer näher auf uns zu geschritten.
Bin gerade alleine am Wasser als der Wind auffrischt und es ganz stark
nach einem Gewitter aussieht. Thomas war zum einkaufen losgefahren und
hat den Sturm, den ich dann am eigenen Leibe mit erleben durfte, trocken
im Auto nachvollzogen. Der Wind wehte mit Geschwindigkeiten von bis zu
90 km/h über unsere Stelle. Mehrmals schmeißt es unsere Sachen um und
ich hatte Mühe alles festzuhalten. Wie es der Teufel aber so will, erklingt
bei dieser Vorbildlichen Gewitterfront, während ich noch mit dem Aufstellen
von Thomas seinen Ruten beschäftigt bin, eine schöne Melodie meiner Bissanzeiger,
und Meterweise Schnur von der Rolle verschwinden im Wasser. Ich weiß einen
kleinen Augenblick nicht was ich machen soll. Bin allein auf mich gestellt
und entschließe mich den Tanz mit dem Karpfen aufzunehmen. Ich fange an
mit der Rute in der Hand Polka zu tanzen. Springe von Treppchen zu Treppchen
und erleide eine Höllenangst, da es jetzt auch noch begonnen hat zu gewittern.
Der Karpfen kämpft und ich gewinne immer mehr Schnur auf der Rolle. Noch
einen Augenblick und der Fisch wird mir gehören. Ein fremder, benachbarter
Angler eilt zum keschern zur Hilfe herbei und der nächste 20iger ist im
Sack. Den Fisch gerade verarztet, kommt Thomas auch schon wieder. Ich
schilderte ihm mein kleines Abenteuer mit dem Tod und er nimmt es mit
einem Lächeln auf den Lippen gelassen hin. Er bereut nur, daß er nicht
dabei sein konnte als ich hier Polka tanzte, denn er hätte mindestens
100 Dia´s dabei verschossen. Noch im Gespräch vertieft, ertönte auch schon
der nächste Bissanzeiger. Dieses mal an Thomas seiner Rute. Das Szenario
begann wieder und ich lief auf die Treppe hinauf um die Oberhand zu gewinnen,
doch der geliebte Gegner ging voll über die Bremse und saß auch schon
bald in den Wurzeln fest. Keine Chance ihn da raus zu kriegen.
11.06.1999:
Die Nacht verlief normal, um 5.45 Uhr wurde ich von Thomas seinen Piepern
geweckt. Ich schaute aus meinem Camp heraus und sah ihm beim Drillen zu.
Ich erinnere mich noch ganz genau, wie er ganz ruhig und sicher den Fisch
am anderen Ende der Angel bändigte. Das darauf folgende "Strahlemann-Gesicht",
als er seinen Fang gewogen hatte, wird für mich auch unvergesslich bleiben.
Es war ein wunderschöner 27,400 Pfund schwerer Spiegelkarpfen mit einer
Länge von 85 cm. Der Trip wurde immer schöner, jedoch auch immer kürzer
für uns. Wir träumten aber in der uns noch verbleibenden Zeit weiterhin
von größeren Kollegen, denn die Grenze nach oben hin ist hier wohl noch
lange nicht erreicht.
14.06.1999:
Es ist der Tag gekommen an dem ich mich von Thomas verabschieden muß.
Sein Urlaub ist abgelaufen und ein kräftiger Händedruck trennt uns für
eine gewisse Zeit erst einmal wieder. Der rote Opel Kadett verschwindet
zwischen den Bäumen, und er läßt mich mit einer Menge neuer Erfahrungen
zurück. Es folgte von ihm eine SMS daß er gut rüber gekommen ist. In der
Zwischenzeit konnte ich aber noch einen verhaften und meldete ihm diese
frohe Nachricht als Antworts-SMS. Der Fisch hatte stolze 25,100 Pfund
bei 79 cm Länge. Als Resultat dieser Session errechnete ich, daß wir Karpfen
fingen mit einem Gesamtgewicht von über 400 kg, einer Gesamtlänge von
über 30 Metern bei einem durchschnittlichem Gewicht von 18,000 Pfund und
einem offiziellen Marktwert von 1800,- DM (Nicht Zloties!). Der letzte
Wert wurde durch unseren Fischhändler Marius noch bereits am Wasser ermittelt.
In diesem Sinne hoffe ich Euch ein wenig heiß gemacht
zu haben und würde mich sehr freuen wenn wir uns mal bei mir am Wasser
begegnen.
Tight Lines und nur Dicke
Euer Daniel Kuchowicz (Dirty Daniel)
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